Führen nach oben – und unten fällt alles runter?

von | Nov. 15, 2025 | Aus der Praxis, Business | 0 Kommentare

Ich war neulich in einem Führungskreis. Die Runde war erfahren, wortgewandt, ambitioniert. Alles Menschen in Führungspositionen. Es war still, als eine dieser Personen einen Satz sagte, der mir bis heute im Kopf nachhallt:

„Meine Aufgabe ist es, dass meine Führungskraft gut dasteht.“

Mehrere nickten. Zustimmendes Murmeln. Von Mitarbeitenden war nicht die Rede. Von Teamverantwortung, Arbeitskultur, Unterstützung – nichts.

Und ich saß da und dachte: Wirklich jetzt?

Wenn Führung zur Show nach oben wird

Es war nicht das erste Mal, dass ich das gehört habe. Aber selten so klar. Als wäre Führung ein Karrieredienst. Als ginge es darum, möglichst reibungslos zu liefern, Eindruck zu machen, sich nach oben abzusichern.

Dabei dachte ich immer: Führung ist Verantwortung. Gestaltung. Dienst an der Sache. An den Menschen.

Was ich stattdessen erlebe: Viele führen nach oben. Und reichen den Druck einfach weiter nach unten durch. Entscheidungen werden getroffen, ohne sie zu erklären. Rückfragen gelten als Störung. Und wer Unterstützung braucht, fühlt sich schnell wie ein Problemfall.

Führung wird zur Inszenierung. Wer sich gut verkauft, gilt als stark. Wer für sein Team da ist, als weich. Das System belohnt die Falschen – und wundert sich dann über die Ergebnisse.

Was dabei schiefläuft

  • Mitarbeitende werden nicht geführt, sondern verwaltet.
  • Entscheidungen werden nicht erklärt, sondern durchgedrückt.
  • Probleme werden nicht gelöst, sondern vertagt – solange die eigenen Zahlen stimmen.
  • Führungskräfte treten lieber nach oben gut auf, als nach unten präsent zu sein.
  • Vertrauen wird nicht aufgebaut, sondern durch Kontrollmechanismen ersetzt.
  • Verantwortung wird nicht geteilt, sondern abgeschoben – möglichst weit nach unten.

So entsteht kein Vertrauen. Keine Entwicklung. Kein Raum für echte Arbeit.

Und irgendwann fragt sich das Team: Wozu ist diese Führungskraft eigentlich da?

Woher das kommt

Das ist kein Einzelfall. Das ist System.

Viele Führungskräfte wurden nicht wegen Führungsstärke befördert – sondern wegen Fachlichkeit, Loyalität oder Durchsetzungskraft. Und wer Karriere machen will, lernt schnell: Wer oben glänzt, wird belohnt.

„Management by PowerPoint“ ersetzt echte Verbindung. Nach oben berichten ist wichtiger als mit dem Team sprechen. Sichtbarkeit schlägt Substanz.

Und so glauben viele wirklich, dass ihre Hauptaufgabe darin besteht, ihre Führungskraft gut dastehen zu lassen.

Das Team? Ist halt da. Muss halt liefern. Muss halt verstehen, dass jetzt kein Raum für Fragen ist.

Diese Haltung wird weitergegeben. Von oben nach unten. Jeder schaut nach oben – und unten bleibt niemand übrig, der sich kümmert. Das ist keine Führungskultur. Das ist ein Statusspiel.

Was gute Führung wirklich braucht

Ich glaube: Führung muss nach unten wirken. Nicht nach oben gefallen.

Gute Führung:

  • macht die Arbeit der anderen leichter
  • klärt, statt zu kaschieren
  • stärkt, statt durchzureichen
  • übernimmt Verantwortung – nicht nur für Ergebnisse, sondern auch für Menschen
  • stellt sich vor ihr Team, wenn es schwierig wird
  • gibt Anerkennung weiter und Druck nur dosiert

Führung ist kein Status. Es ist eine Aufgabe.

Und wer Menschen führen will, muss erst mal zuhören können. Muss mutig sein. Und den eigenen Job nicht als Bühne verstehen – sondern als Fundament.

Führung heißt nicht, gut auszusehen. Sondern Haltung zu zeigen. Auch dann, wenn es unbequem wird.

Ein Beispiel aus dem Alltag

Ein Projekt geht schief. Die Zahlen sind nicht da, die Timeline wackelt. Und was macht die Führungskraft? Sie poliert ihre Präsentation für die nächste Runde nach oben. Bereitet Erklärungen vor, wer woran schuld war. Streicht sich selbst raus aus der Verantwortung – und schiebt sie weiter nach unten.

Das Team? Hängt in der Luft. Muss’s ausbaden. Und lernt: Fehler dürfen passieren – aber nur oben nicht.

Stattdessen könnte Führung so aussehen:

  • Die Führungskraft stellt sich vor ihr Team.
  • Sie kommuniziert transparent nach oben.
  • Sie fragt nach innen: Was brauchen wir jetzt? Was können wir lernen?
  • Sie schützt, statt bloßzustellen.

Das verändert alles. Nicht, weil dann alles perfekt läuft – sondern weil endlich wieder jemand da ist, der führt.

Was wir verändern müssen

Führung darf kein Statussymbol sein. Kein Belohnungsmodell. Und erst recht keine Showtreppe nach oben.

Führung muss wirken – und zwar dort, wo Arbeit gemacht wird. Bei den Menschen. In den Teams. In den Beziehungen.

Das heißt:

  • Wir müssen neue Maßstäbe für gute Führung setzen.
  • Wir müssen den Mut belohnen, der Haltung zeigt – nicht den, der sich durchlaviert.
  • Wir brauchen Strukturen, in denen echtes Verantwortungsbewusstsein zählt – nicht nur Sichtbarkeit.
  • Und wir brauchen Räume, in denen Führung wieder Verbindung schafft.

Mein Wunsch

Ich wünsche mir Führungskräfte, die sich fragen:

  • Was braucht mein Team, damit es gut arbeiten kann?
  • Wo nehme ich Druck raus, statt ihn weiterzugeben?
  • Wie baue ich Vertrauen auf – nicht nach oben, sondern in alle Richtungen?
  • Wo stehe ich für mein Team ein, auch wenn’s mich selbst Kraft kostet?

Denn wenn Führung nur noch nach oben strahlt, bleibt unten Dunkelheit.

Und das kann sich kein Unternehmen leisten.


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